Als sich 1902 der belgische Architekt Henry van de Velde (1863-1957) als künstlerischer Berater des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach etablierte, erhielt er aus der sächsischen Industriestadt Chemnitz seinen ersten architektonischen Auftrag in Deutschland: eine Villa für den Textilfabrikanten Herbert Eugen Esche (1874-1962). Diesem Bau folgten aus dem Familienkreis Herbert Esches weitere Bau- und Einrichtungsaufträge, die aus Chemnitz einen bedeutenden Ort im Schaffen van de Veldes machten.
Von seinen Chemnitzer Bauten sind heute drei erhalten und in den letzten Jahren aufwändig restauriert worden: die Villa Esche, die Villa Koerner sowie in der Villa Quisisana die Halleneinrichtung. Dieses gewichtige architekturhistorische Erbe macht Chemnitz zu einer der bedeutendsten Stationen der Europäischen van de Velde-Route.
Chemnitzer Bauten
Die Villa Esche (1902 und 1911)
Herbert Eugen Esches Villenprojekt war 1898 ein Einrichtungsauftrag an van de Velde für eine Gründerzeitwohnung auf dem Kaßberg vorausgegangen. „Er wünschte ein Haus zu haben, das mit dem Geist der für ihn geschaffenen Möbel und anderen Gegenstände übereinstimmte“, erinnerte sich van de Velde in seinen Memoiren. So erfüllte der Architekt den in seiner Laufbahn einzigartigen Auftrag, für von ihm entworfene Möbel nachträglich den architektonischen Rahmen zu schaffen – eine komplett eingerichtete Villa mit drei Wohngeschossen über einer Grundfläche von 500 Quadratmetern. Ungewöhnlich auch, dass van de Velde schon wenige Jahre nach der Fertigstellung mit einer Erweiterung der Villa beauftragt wurde. Durch den Umbau von 1911 gab er dem ursprünglich verspielten Bauvolumen eine stärker in sich geschlossene, ausgereiftere Form.
Nachdem Herbert Esche 1945 Chemnitz verlassen und einen großen Teil der Möblierung mit in den Westen genommen hatte, diente die Villa Esche als sowjetische Kommandantur, dann dem Ministerium für Staatssicherheit und schließlich als Ausbildungsstätte der Handwerkskammer. Mit der Wiedervereinigung 1990 konnten die Kunstsammlungen Chemnitz einen Teil der Esche-Möbel erwerben; die Villa selbst ging zurück an Esches Erben, die sie 1998 an die städtische Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft m.b.H. verkauften.
Das im Verfall befindliche Gebäude wurde restauriert und partiell umgebaut, seine verlorene Inneneinrichtung und die Gartenanlage weitgehend wiederhergestellt. Im Dezember 2001 wurde die restaurierte Villa Esche der Öffentlichkeit übergeben; sie wird seither museal und als Veranstaltungsort genutzt. Das Museum besteht aus zwei in ihren historischen Zustand zurückversetzen Räumen (Speisezimmer und Musiksalon) sowie drei Ausstellungsräumen, in denen weitere Möbel aus der Villa neben anderen Werken van de Veldes präsentiert werden. Die Villa Esche bietet neben dem „Hohenhof“ im westfälischen Hagen die weltweit einzige Gelegenheit, ein architektonisches Gesamtkunstwerk van de Veldes zu erleben.
Parkstraße 58
(Zufahrt Richard-Wagner-Straße 55)
Die Villa Koerner (1913/14)
Dr. Theodor Koerner junior (1882-1958) ließ sich von van de Velde 1913/14 – wenige Jahre nachdem sein Vater den belgischen Architekten mit der Ausstattung der Halle der Villa Quisisana beauftragt hatte – auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein eigenes Wohnhaus mitsamt Einrichtung erbauen. Wie viele Aufträge, die van de Velde in den letzten Jahren seiner Weimarer Karriere ausführte, entsprach die Villa Koerner stilistisch stärker dem Ideal des bürgerlich-repräsentativen Hauses, als seine ersten Villenbauten. Grundriss und Raumgefüge sind – anders als etwa in der Villa Esche – Zeugnisse eines nun im Villenbau erfahrenen Architekten.
Im Zweiten Weltkrieg zerstörte eine Brandbombe die zwei oberen Geschosse der Villa Koerner; von der Innenausstattung überlebten nur Bruchteile, welche dann beim sparsamen Wiederaufbau der späten fünfziger Jahre entfernt wurden. Bis die Villa 1990 an die Erben Koerners zurückging, diente sie als Rechenzentrum der Maschinenfabrik Ermafa. 2001 wurde das Gebäude verkauft, die neuen Eigentümer stellten die Außenansicht wieder her und richteten im Inneren Büro- und Wohnräume ein. Der Grundriss van de Veldes blieb in den unteren Geschossen erhalten, die Einrichtung der Halle wurde nach historischen Fotografien rekonstruiert.
 Die Villa Quisisana (um 1908)
Der Kommerzien- und Stadtrat Theodor Koerner senior (1855-1921), Inhaber der Tintenfabrik Beyer und Schwiegervater Herbert Esches, beauftragte Henry van de Velde um 1908 mit einer neuen Einrichtung der Halle seiner im Neorenaissancestil gebauten Villa Quisisana. Diese im Werk van de Veldes wenig bekannte Ausstattung wurde in den Jahren 1950 bis 1990 durch Umnutzung entstellt. Im Rahmen der 1996 abgeschlossenen Sanierung wurden im ehemaligen Wohnhaus Büroräume und ein Restaurant eingerichtet. Die von van de Velde entworfene Halle wurde restauriert und weitgehend in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt.
Beyerstraße 28
D-09113 Chemnitz